Die Philosophie des Tantra

Die Philosphie des Tantra besagt, das Tantra eine alte östliche Wissenschaft von der spirituellen Erleuchtung ist. Die Sexualität als Lebenskraft an sich wird als göttliche Kraft verehrt. Mit Hilfe dieser Energie und ihrer Kultivierung, Kontrolle und Stärkung durch tantrische Techniken soll Ekstase und Bewusstseinserweiterung erreicht werden.

Eine These besagt, dass Tantra durch den Kult um den Hindu-Gott Shiva und seine Gefährtin, die Göttin Shakti entstanden sei. Der Glaube war, dass Shakti (sie verkörpert reine Energie) durch die spirituelle und sexuelle Vereinigung mit Shiva (er verkörpert reines Bewusstsein) seinem Geist Form verlieh und das Universum erschuf. Die Überzeugung, dass das weibliche Prinzip eigentlich der bewegende Aspekt des Bewusstseins ist, war der Hauptgrund dafür, dass die Frau eine hohe Stellung inne hatte und sie zu einer kosmischen Kraft erhoben wurde.

Der Sanskrit-Begriff Tantra kann verschieden übersetzt werden, nämlich als Schiffchen oder Schussfaden (im Zusammenhang mit der Herstellung von Tuch), Webstuhl, Gewebe, Hindurchfliessendes, Zusammenhang, Gefüge, Kontinuität, Ausdehnung, Abfolge, Herkunft oder fortwährender Prozess, Ablauf einer Zeremonie, System, Theorie, Lehre, wissenschaftliches Werk, Abteilung eines Werks. Dabei wird Tantra zunächst zur Bezeichnung eines religiösen oder philosophischen Werks verwendet. Dieses muss inhaltlich nichts mit dem zu tun haben, was gemeinhin als Tantra bezeichnet wird. In der wissenschaftlichen Literatur ist denn auch nicht von Tantra, sondern Tantrismus die Rede.

Tantra-Paar im Tempel

Der Ursprung

Tantra ist in Indien vor 5000 Jahren im Industal südlich von Kaschmir entstanden. Mit dem Eindringen arischer Stämme aus dem Norden ging diese Kultur zu Ende und lebte zunächst im Verborgenen weiter. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung trat Tantra in Kaschmir wieder offen in Erscheinung. Im Mittelalter wurde durch das Vordringen des Islam die tantrische Kultur zerstört. Im europäischen Raum taucht der Begriff „Tantra“ zum ersten mal im 18. Jahrhundert auf. Damals entdeckten englische Missionare in Indien geheime Schriften der shivaitischen Sekte der Shaktas, die als „Tantras“ bezeichnet wurden.

Tantra entwickelte sich auch als Gegenstrom gegen die etablierte Religion, besonders gegen den weit verbreiteten Glauben, dass die Sexualität verleugnet werden muss, damit die Erleuchtung erreicht werden kann.

Es stellte durch seine rebellische Haltung eine Herausforderung für die herrschenden Glaubenssysteme dar und entwickelte viele Verzweigungen, die die Traditionen des Hinduismus, des Taoismus und des Buddhismus beeinflussten.

Die Buddhisten unterschieden einen rechtshändigen und einen linkshändigen tantrischen Pfad. Der linkshändige schloss Sexualpraktiken ein, während der rechtshändige sie geistig sublimierte und nur symbolisch mit der sexuellen Energie arbeitete.

Inhalte und Ziele

Im Mittelpunkt der tantrischen Lehren steht die Anschauung, dass die Wirklichkeit eins ist, ein unteilbares Ganzes. Die Trennung von Diesseits und Jenseits besteht ebensowenig wie die von Gut und Böse oder von Schuld und Sühne. Alles existiert gleichberechtigt, ohne be-wertet zu werden.

Ziel der Lehre in der Philosophie des Tantra ist die Transzendierung des Ego und eine höhere Bewusstheit auf allen Bewusstseinsebenen. Im Zentrum steht die Verbindung des Menschen zur Erde und zum Kosmos.

Diese Verbundenheit wird durch verschiedene Elemente angestrebt:

  • die Lehre des Atems (Pranayama),
  • Meditation als Bewegung nach innen zum Zentrum des Menschen, zur Essenz
  • die Lehre der Energiezentren im menschlichen Körper (Chakra),
  • die Mantra-Praxis als Instrument des Klanges,
  • visuelle Meditationshilfen (Yantra),
  • Ekstase als Bewegung nach aussen, Entgrenzung und Verschmelzung
  • die rituelle geschlechtliche Vereinigung (Maithuna).

Seit den 70er Jahren erlebt das Tantra im Westen eine Wiedergeburt und wird seitdem als „Neo-Tantra“ weitergegeben und weiterentwickelt. So sind viele Tantra-Schulen entstanden, die mehr oder weniger stark in der Tradition des alten indischen Tantra verwurzelt sind. Das heutige Tantra lässt sich unterscheiden in weisses und rotes Tantra. Weisses Tantra ist ein von strenger spiritueller Disziplin geprägter Weg ohne sexuelle Übungen. Rotes Tantra nutzt die sexuelle Kraft als Energiequelle für den ganzheitlichen (spirituellen) Weg. Die Ausrichtung der einzelnen Schulen hängt stark von der Persönlichkeit und Ausbildung der jeweiligen Lehrer ab. Die Angebote reichen von der sinnlichen Massage bis zu kraftvoller Körperarbeit, von Sexualtherapie bis zur spirituell orientierten Meditation und vom theoretischen Vortrag bis zum praktischen Erleben im Ritual.

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